Interview

Jan: Hallo Arno, viele kennen dich als sympathischen Sportler aus Miesbach. Darf ich dir ein paar Fragen zu deiner Person stellen? In deiner sportlichen curriculum vitae findet sich einiges, was man ruhig als außergewöhnlich bezeichnen darf. Was viele sicherlich interessiert: Wieso läufst Du eigentlich einen 100 km-Berglauf mit 6000 Höhenmetern, und wie bewältigt man einen Triple-Ultratriathlon, bei dem man 11,4 km schwimmt, 540 km Rad fährt und 126 km läuft?

 

Arno: Ich könnte nun flapsig sagen: Weil ich es kann. Aber das wäre zu einfach. Es braucht jahreslanges Training und nicht nur körperliches, sondern auch mentales Training.

 

Jan: Wie muss man sich das vorstellen? Wie ging das los?

 

Arno: Als Kind und Jugendlicher war ich nicht gerade dem Sport zugetan. Ich war nie Mitglied in einem Sportverein. Vielmehr war ich ein kleiner, schmächtiger Junge. Im Alter von 16 Jahren begann ich eine Lehre zum Bäcker. Während meiner Tätigkeit musste ich 50-kg-Mehlsäcke aus dem Keller nach oben schleppen. Ich wog zu der Zeit gerade mal 55 kg! Um bei der nicht unerheblichen körperlichen Belastung, den die Ausbildung zum Bäcker mit sich bringt, fitter zu werden, ging ich das erste Mal in eine Mucki-Bude. Das waren noch keine Fitnessstudios, wie wir diese heute kennen. Es gab nur ein Fahrrad und sonst nur schwere Hanteln und viel anderes Eisen. Aber ich fand gefallen daran und nach drei Jahren Training brachte ich bei 1,65 Metern Körpergröße einen gut durchtrainierten Körper mit 72 kg auf die Waage. Meine Nachmittage verbrachte ich oft im Studio mit eisenstemmen .

 

Jan: Der Triathlonsport gehört ja fest zu deinem sportlichen Repertoire. Wie kamst du auf den Gedanken, diese damals noch sehr junge Sportart zu betreiben?

 

Arno (lacht): Im Fernsehen kam ein Bericht über den IRONMAN auf Hawaii. Sofort hatte ich Blut geleckt. Wie kann man das nur schaffen? Was sind das für Menschen? Für mich waren es Helden!

Ein paar Wochen später lief ich zum ersten Mal einen 15-km-Lauf, fast ohne Training und aufgrund des intensiven Krafttrainings mit viel zu vielen und damit schweren Muskeln. Schnell überkamen mich Seitenstiche und später auch noch Krämpfe in den Waden. Aber ich kam ins Ziel! Und es war das Beste damals, was ich je gemacht hatte. 1984 startete ich zum ersten Mal bei einem Volks-Triathlon in Köln. Noch beherrschte ich beim 500-Meter-Schwimmen die Kraultechnik nicht und die 20 km Rennrad fahren konnte ich auch noch nicht in dem sportlichen Ausmass, wie man sich das so vorstellt. Das Laufen trainierte ich auch erst seit ein paar Monaten. Ich kam nach dem abschließenden 5-km-Lauf aber ins Ziel und für mich stand fest, das ist mein Sport."

 

Jan: Und wie sah damals Dein Training aus?

 

Arno: Fast trau ich es mir gar nicht zu sagen. Mein Trainingsalltag war ohne aufbauende Struktur und inhaltlich viel zu monoton. Früh morgens lief ich bereits 10 km zur Arbeit, danach gegen Mittag wieder zurück. Oft verlängerte ich die Strecke dabei auf 15 bis 20 km. Etwas Essen, 3 Stunden Schlaf und sodann auf das Rennrad oder ins Schwimmbad. Abends früh ins Bett und am nächsten Tag wieder das gleiche. Das Wochenende verbrachte ich mit Wettkämpfen oder langen Radausfahrten. Ich darf dabei bitte erwähnen, dass ich später mit meiner Kenntnis zur Trainingssteuerung im Hinblick auf eine effiziente Leistungssteigerung selbstverständlich ganz andere Wege gegangen bin. Die Regeneration im Rahmen einer effizienten Trainingsplanung war schon bald fester Bestandteil. So konnte ich einem Übertraining entgegenwirken und mit Spaß und Laune trainieren.

 

Jan: Im ohnehin schon anspruchsvollen Ausdauersport hast du einiges bis hin zum Triple Ultratriathlon erlebt. Magst Du uns davon berichten?

 

Arno: Sehr gerne! 1988 war es soweit. Der erste Ironman stand im bayrischen Roth auf dem Plan und ich war am Start. Es war ein tolles Rennen, ich wog nur noch 60 kg, die grossen Muskeln haben sich meiner neuen Belastung angepasst. Als ich nach 11 Stunden ins Ziel kam, war ich wie im Rausch. Ich war ein IRONMAN!

Es sollten noch einige Langdistanzen im Triathlon folgen, auch meine 10-km-Zeit wurde schneller. 33:20 Min auf 10 km war damals meine Bestzeit.

Irgendwie reizten mich doch die längeren Strecken. So stand ich 1993 plötzlich in Lensahn an der Ostsee am Start eines Triple Ultratriathlons. Das bedeutete in der Gänze 11,4 km zu schwimmen, direkt im Anschluss 540 km Rad zu fahren und sodann 126 km zu laufen. Es gab zu dem Zeitpunkt weltweit nur zwei solcher Veranstaltungen. Dreißig Teilnehmer aus aller Welt waren mit am Start.

Das war das härteste, was ich bis dahin je erlebt hatte. Nachts saß ich während des Laufens heulend auf der Bordsteinkante, ich war am Ende. Mir tat alles weh, die Knöchel waren dick angeschwollen und ich hatte immer noch 60 km Wegstrecke vor mir. Aber dann machte es in meinem Kopf irgendwann Klick, ich stand auf und fing wieder an zu laufen. Zwar in einem sehr langsamen Tempo, aber ich lief. Und nach 52:40:30 war ich überglücklich im Ziel. Ich hatte es wirklich geschafft! Insgesamt habe ich zehnmal den Triple Ultratriathlon bestritten, neunmal davon konnte ich - mit einer Bestzeit von 44:00:30 Stunden - finishen.

Der Ablauf der Ultratriathlon Wettkämpfe war oft ähnlich. Gestartet wurde immer an einem Freitag Morgen. Da ich donnerstags noch in der Backstube stand, war ich erst am Abend vor dem Start am Wettkampfort angekommen. Wenn dann am Sonntag die Siegerehrung stattfand, saß ich oft schon wieder auf dem Rückweg nach Hause im Auto. Ich musste ja am Montag um 4 Uhr wieder in der Backstube stehen.

 

Jan: Ein strammes Programm. Ging das dauerhaft so weiter?

 

Arno: 1996 zog es mich nach München, auch erst wieder als Bäcker. Zwei Jahre später begann ich dann, in einem großen Fitnessstudio zu arbeiten. Parallel machte ich diverse Trainerscheine.

Fünf Jahre später, 2003, ging auf einmal gar nichts mehr. Nach einem 48-Stunden-Weltrekordversuch auf dem Laufband erholte ich mich nicht. Nach einigen Arztbesuchen stellte man endlich fest, dass ich das Pfeiffersche Drüsenfieber hatte. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Es bedeutete für mich den absoluten Verzicht auf Sport. Gar vier lange Jahre brauchte es, bis die Krankheit bewältigt war und ich behutsam wieder mit dem Sport beginnen konnte. In der Zwischenzeit war ich Papa eines Sohnes geworden, das Fitnessstudio, welches ich leitete, wurde verkauft. So begann ich als Laufschuhverkäufer, um im sportlichen Bereich weiterhin aktiv zu bleiben. Als ich dann 2007 allmählich wieder mit dem Laufsport anfangen konnte, war ich überglücklich. Für mich war es nun noch wichtiger, mich einfach sportlich zu bewegen. Wie habe ich das vermisst. Mein großes Ziel war es immer, im Alter von 70 Jahren noch fit zu sein.

 

Jan: Sport ist bei Dir zweifellos Ausdruck einer positiven Lebenseinstellung. Welche Ziele hast Du noch?

 

Arno: Auch, wenn es nach dem Pfeifferschen Drüsenfieber nicht einfach war, bei Null wieder anzufangen. Ein Jahr später lief ich wieder einen Marathon. Mir war bewusst, dass ich dabei an die Zeiten von unter 3 Stunden nicht mehr herankommen würde. Aber das war nicht schlimm. Vielmehr suchte ich mir neue Ziele. Ich wollte nun über die Berge laufen. Oder vielleicht auch mal in die Wüste. So steigerte ich langsam die Distanzen in meinem Training. 2012 lief ich dann meinen ersten "Zugspitz Ultra Trail": 100 km mit 5600 Höhenmetern. Seitdem gilt meine große Leidenschaft den Ultratrailläufen.

Zu meinem 50. Geburtstag habe ich mir dann einen 100-km-Nonstop-Lauf in der Sahara gegönnt. Ich war verzaubert von der tollen Landschaft. Es war ein großes Abenteuer.

Ich brauche immer wieder neue Ziele. Und ich bin überzeugt, jeder braucht Ziele, ob im Beruf oder im Sport.

 

Danke an Jan-Olof Wadehn. Jan-Olof ist der Initiator der Ultralauf Challenge NRW.